„Du bist nur mehr eine Nummer und es zählen nur mehr die Zahlen”

Aus: Horst Schreiber, „Als würden wir gar nicht existieren”. Arbeitsverhältnisse bei Post, Bus und Telekom Austria in Tirol, 2001

Die Stimmung im Raum ist voll gespannter Erwartung und schwankt zwischen Fassungslosigkeit, Resignation, Wut und Empörung. Mehrere Bedienstete der Telekom Austria haben sich zu einem Treffen mit der Gewerkschaft und Personalvertretung zusammengefunden, um Maßnahmen gegen ihren Abbau zu beratschlagen. Die Auflassung ihres Arbeitsplatzes und die Anordnung, sofort einen Umschulungskurs zu besuchen, hat sie völlig unvorbereitet wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Die Leidtragenden sind gekommen, obwohl Stellenleiter davon abgeraten und gewarnt haben. Drei Bedienstete haben sich nicht getraut, die Versammlung zu besuchen. Die Gewerkschaft bezeichnet dies als Mobbing und versichert den Arbeitnehmern, hinter ihnen zu stehen: „Wir begleiten euch, ihr braucht keine Angst zu haben. Wir sind für euch da, ihr könnt Tag und Nacht anrufen, wenn ihr Sorgen habt.” Ein anderer Gewerkschafter beklagt, dass die Mehrheit der bisherigen Chefs in Tirol abgeschafft und die Entscheidungsbefugnisse in Wien zentralisiert wurden. Nun bewahrheite sich wieder, dass die Entscheidungsträger umso brutaler werden, je weiter weg sie von den Menschen sind. Die Interessensvertretung zeigt sich schockiert, dass man nun so mit den Leuten umgeht und sie im Gegensatz zu früher immer weniger eingebunden wird, um gemeinsam mit der Unternehmensleitung Lösungen zu finden. Deshalb ist sie selbst von den Ereignissen überrascht worden und muss sich nun von über die Vorgänge von den Betroffenen informieren lassen, um eine rechtliche Klärung einzuleiten: „Denn wenn das bei euch geht, dann geht’s überall”, meint ein Personalvertreter. Deshalb sei auch mit der Logistik begonnen worden, um zunächst gegen die Schwächsten vorzugehen.

Die Versammlung

Aufgeregt berichten die LKW-Fahrer, davon, dass sie ihren Arbeitsplatz auflösen und binnen kürzester Zeit ihre Transportautos und alle Betriebsmittel zurückgeben mussten. Schriftlich wurden sie darüber informiert, dass ihnen vorläufig keine Verwendung zugewiesen werden kann und sie in einen Personalpool der Telekom (Außenstelle der Unternehmenszentrale „Personal, Organisation und Ausbildung” – XT) übergeführt wurden. Ein Beschäftigter musste sogar aus Vorarlberg anreisen, um zu erfahren, dass er auf seinem bisherigen Posten nicht mehr benötigt wird. Ein persönliches Gespräch erfolgt erst nach seiner Rückkehr in Vorarlberg. Die Anwesenden machen sich Sorgen um ihn, da er unter Depressionen leidet. Sie finden es unverantwortlich, ihn in dieser Situation alleine zu lassen. Jetzt stehen sie alle ohne ihren bisherigen Job da und müssen innerhalb des Unternehmens eine neue Arbeit finden. Doch was sollen sie tun? Es ist nichts ausgeschrieben, dass auch nur im entferntesten ihren Qualifikationen entsprechen würde. Sie beklagen, dass sich alle Abteilungen abzuschotten versuchen, da diese schon genug damit zu tun haben, die eigenen Leute zu halten oder sie irgendwo anders unterzubringen. Da es sich bei den Betroffenen um pragmatisierte Beschäftigte handelt, sehen Personalvertretung und Gewerkschaft eine Verletzung des Dienstrechtes durch die Unternehmensleitung, die adäquate Arbeitsplätze zur Verfügung stellen müsste. Bei den Vertragsbediensteten sei man ohnedies machtlos. Aufgrund einander widersprechender Aussagen in diversen Schreiben ergeben sich große arbeitsrechtliche Probleme und die Unklarheit, ob sie noch in der Telekom Austria oder in der Telekomtochter Personalmanagement GmbH (TAP) angestellt sind, mit deren Hilfe das Unternehmen glaube, das BeamtInnendienstrecht umgehen zu können, um möglichst viele Beschäftigte los zu werden. Die Interessensvertreter erläutern den Versammelten, dass sie mit Hilfe eines juristischen Gutachtens des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Innsbruck und der Tiroler Arbeiterkammer versuchen werden, eine Klärung mit dem Unternehmen herbeizuführen und widrigenfalls entsprechende Musterprozesse einzuleiten: „Wir wissen, dass das für euch eine beschissene Zeit wird, weil es dauert. Aber eines ist klar: Ihr werdet sicher nicht entlassen.” Die knappe Antwort eines Diskutanten trifft die Stimmung und die Ängste im Saal: „Ja, aber wie lange stehen wir das durch.” Karl Sennhofer, einer der Betroffenen, dessen Beine bereits seit einiger Zeit unkontrolliert zittern, kann sich nicht länger zurückhalten und bricht in ein leises Schluchzen aus. Die anwesende Frauenbeauftragte, die bereits vorher auf die Notwendigkeit psychologischer Hilfe und die Einrichtung von Angeboten, sich in dieser ernorm belastenden Situation aussprechen zu können, hingewiesen hatte, verlässt mit ihm den Raum. Ein Interessensvertreter unterstreicht die Kostenübernahme durch die Gewerkschaft für diejenigen, die eine Aussprache unter professioneller Betreuung in Anspruch nehmen wollen.

Die Degradierung

Im Anschluss an die Versammlung kommt es zu einem Gespräch zwischen sechs Betroffenen und mir. Norbert Fischer, ein Lagerarbeiter, spricht ruhig und gelassen. Er übernimmt die Funktion des Kommentators, der versucht, die Situation zu analysieren und mit Exkursen über Politik und Weltwirtschaft die triste Lage und die hochgehenden Emotionen in den Griff zu bekommen. Doch auch er zeigt sich bestürzt, wie schlecht es Karl Sennhofer geht: „Man sieht, er ist nervlich schon total fertig.” Er zeigt sich zwar positiv überrascht davon, dass sich Gewerkschaft und Personalvertretung Gedanken über eine psychologische Betreuung gemacht haben, findet jedoch, dass dies Aufgabe des Unternehmens wäre, da sich die Betroffenen in einem „Schockzustand” befinden. Ingo Köllerer unterstreicht, dass die LKW-Fahrer fälschlicherweise in Sicherheit gewogen wurden, indem man ihnen mitgeteilt hatte, dass sie nach der Schließung des Tiroler Hauptlagers zu Tiroler Transitterminals kämen bzw. dass sie für den Transport der Materialien vom Salzburger Auslieferungslager benötigt würden. Jedoch: „Eines Tages sind wir hinaufgeholt worden zu einem Gespräch und haben unseren ‚Stern’ bekommen. Dass sie uns eben nicht mehr brauchen.” Aus Tirol und Vorarlberg wurden vom Bereich Logistik über 20 Bedienstete (Fahrer, Lager, Verwaltung) ins Büro gerufen und mit vier Ausnahmen alle „gesterndlt”. Die Namen wurden vorgelesen und alle, die sich künftig um eine neue Arbeit umschauen müssen, mit einem Stern versehen. „Dann bist du einmal deprimiert gewesen, weil jetzt warst du 25 Jahre, wie es bei mir war, gut genug, und jetzt bist auf einmal nicht mehr qualifiziert”, meint Leo Schuster. Die Personalvertretung wurde dabei völlig übergangen. Die Kriterien, nach denen vorgegangen wurde, sind unbekannt. Sie glauben aber, dass der Dienststellenleiter mit der Wiener Unternehmensleitung „gepackelt” hat. Das Verhalten des Vorgesetzten, den sie seit vielen Jahren kennen, erscheint unbegreiflich. Norbert Fischer findet es interessant, dass man Menschen, mit denen man so lange gearbeitet hat, dennoch völlig falsch einschätzen kann. „Ich bin völlig überrascht gewesen, dass solche Sachen jetzt vorkommen”, stellt er fest und unterstreicht sein gutes Verhältnis zum Chef, indem er hervorhebt, dass ihm dieser sogar zum Geburtstag gratuliert hat. „Das Schöne ist gut gegangen, ja”, wirft Leo Schuster spöttisch ein. Besonders schmerzt die Degradierung ihrer bisherigen Arbeit. Da alle MitarbeiterInnen der Telekom entsprechend den drei Kriterien „1. Stars, Zugpferde, Lokomotiven, 2. Gute verlässliche Mitarbeiter und 3. Bremser und Fehlbesetzungen” beurteilt werden sollen, fühlen sie sich bereits jetzt in den Ausschusstopf geschmissen. Ingo Köllerer betont, dass sie alle nicht so lange im Betrieb bleiben hätten können, wenn sie „ungute Arbeiter” und „faule Hunde” gewesen wären, die den Dienststellenleiter „blockiert” hätten. „Wir haben unsere Arbeit gemacht und da kann uns niemand was nachsagen, da haben wir immer auf den Betrieb geschaut, dass ja alles läuft. Und wenn es noch so ein Blödsinn war, wenn sie uns oft eingeteilt haben oder sonst etwas. Man hat immer geschaut, dass es gut läuft.” Herwig Pitscheider hebt hervor, in welch schwieriger Situation sie jahrelang arbeiten mussten. Die Arbeitsbedingungen, als sie noch in Holzbaracken werkten, waren zeitweise „eine Katastrophe.” Dann setzt er fort: „Im Winter offene Hallen, am Beton sind wir gestanden. Unmenschlich war es, wie in der Steinzeit bald. Und jetzt, wo der Betrieb so dasteht, mit neuen Bauten, auf einmal ist das Ganze nichts mehr wert. Also man kommt sich da schon ein bisschen verarscht vor. Wir haben ja auch dazu beigetragen, dass alles miteinander so dasteht. Jeder.” Leo Schuster kommt seinem Kollegen zu Hilfe: „Wie wir übersiedelt sind, haben wir Tag und Nacht gearbeitet, Sonntag gearbeitet. Rund um die Uhr, dass ja alles schnell vonstatten geht, dass der Betrieb gleich wieder läuft. Und da waren nicht nur wir, alle waren sie da. … Jeder ist da freiwillig hergegangen. Ja, das machen wir jetzt.” Der Dank werde ihnen jetzt präsentiert. Er sieht es als Taktik an, „dass sie einen überfallen, das tut schon weh.” Herwig Pitscheider bestätigt: „So schnell geht das alles, so schlagartig. Friss oder stirb.” Resigniert fügt Ingo Köllerer hinzu: „Ich weiß nicht, wo die Unmenschlichkeit noch hinführt, wenn das alles … Ich weiß nicht, wie das in zehn Jahren ist dann.” Am bedrückendsten wird empfunden, „dass man so abgeschossen wird, da muss man erst einmal mit dem klar werden. Und das Finanzielle, das kommt erst. Dieses Monat geht es noch gut, das nächste Monat geht es auch noch, aber nachher geht es bergab. Man ist einfach Luft, du bist nichts mehr.” Alle Anwesenden stimmen mit Leo Schuster überein, dass der Betrieb ihnen das Gefühl gibt, dass sie nichts mehr wert sind und daher am liebsten hätte, dass sie ihren Ranzen packen und verschwinden. Nachdem sie jetzt in den Personalpool ausgelagert worden sind, verlieren sie bald die Zulagen, die bis zu einem Drittel des Grundgehaltes ausmachen. Leo Schuster verdient nach 30 Dienstjahren 15.000 Schilling netto und kann sich schwer vorstellen, ohne Zulagen auszukommen. „Das Leben ist auf das aufgebaut”, meint sein Kollege und verweist auf die Erfordernisse von Haus, Wohnung, Familie und auf die Schulden der Anwesenden. Herwig Pitscheider erinnert daran, dass sie jahrzehntelang bei weit geringeren Löhnen als in der Privatwirtschaft für die Post gearbeitet haben, „da haben wir auch zum Betrieb gehalten, da sind wir gut genug gewesen und jetzt bist du nichts mehr wert, wirst voll abgeschossen. Das tut schon weh irgendwo.”

Stärke durch Gemeinschaft

Plötzlich geht die Türe auf und die Frauenbeauftragte kehrt mit Karl Sennhofer zurück, der während der Versammlung mit den InteressensvertreterInnen psychisch zusammengebrochen war. Sofort gibt es ein großes Hallo, während Benno Gamper, der ansonsten das Gespräch mehr verfolgt und durch Kopfnicken Zustimmung zum Gesagten signalisiert, als dass er aktiv eingreift, das Ganze mit den Worten: „So geht man nicht einmal mit Viechern um” kommentiert. Karl Sennhofer hat sich in der Zwischenzeit etwas stabilisiert, obwohl ihm weiterhin deutlich anzumerken ist, wie schlecht es ihm geht. Der Zuspruch und die Solidarität, die seine Kollegen ihm gegenüber bekunden, tut ihm sichtlich wohl. „Du bist bei uns, du bist nicht allein. Da helfen wir schon zusammen alle miteinander, für das haben wir lange genug zusammengearbeitet, Karl”, muntern ihn Herwig Pitscheider und Ingo Köllerer auf. Auch die Frauenbeauftragte versucht ihn bei ihrem Abschied noch einmal zu stärken: „In der Gruppe ist das sicher leichter zu bewältigen. Wirst sehen, auch für dich gibt es einen Weg, du hast ja nette Kollegen, und wenn ihr zusammenhelft, dann passt das schon.” Karl Sennhofer schämt sich seiner Schwäche, die er gezeigt hat, und erklärt, dass es einfach aus ihm herausgebrochen ist. Als er meint, dass die anderen stärker sind als er, wird dies von Leo Schuster vehement zurückgewiesen: „Karl, das geht nicht nur dir so, das geht mehreren gleich. … Nein, nein, wir sind nicht stärker, uns steht auch der Knopf bis heroben, Karl. Einem jeden, traue ich mich wetten. Ich gebe es auch zu.” Alle sind sich einig, wie wichtig es ist, miteinander zu sprechen. Ihnen kommt zugute, dass sie bereits seit Jahren ein gutes Gesprächsklima gepflegt haben und auf eine gemeinsame Geschichte im Betrieb zurückblicken können, die gemeinschaftsbildend gewirkt hat. Dessen sind sie sich bewusst, meint Leo Schuster: „Unser Verhältnis untereinander ist super, wir haben uns auch nie gegeneinander ausgespielt.” Nun werden sie aber auf eine harte Probe gestellt. Nur kurze Zeit nach der „Sterndlaktion” und dem Arbeitsplatzverlust, als die erste Welle der Verzweiflung am größten war, wurden vier Fahrer zum Vorgesetzten gerufen und ihnen mit folgenden Worten mitgeteilt, dass inzwischen noch ein Fahrer benötigt wird: „So jetzt habt’s zehn Minuten Zeit und sucht’s euch einen Fahrer aus, weil ich habe jetzt für die Dienststelle noch einen dazubekommen.” Leo Schuster schüttelt ungläubig den Kopf und stellt ganz selbstverständlich fest: „Untereinander sollst du deine Kollegen rausbeißen, mit denen du jahrelang zusammengearbeitet hast.” Seine Freunde wollten ihm als Ältesten den Vorzug geben, doch er verzichtete, da er sich auf eine derart gewissenlose und erniedrigende Vorgangsweise nicht einlassen wollte, die gegen seine Auffassung von Anständigkeit verstieß. Keiner der drei langjährigen Arbeitskollegen ging schließlich auf das Angebot ein, sodass der Jüngste zum Zug kam. „Er hat ja recht gehabt, sage ich. Der war erst kurze Zeit bei uns. Der kann nichts dafür”, unterstreicht Leo Schuster.

Familiengeschichten

Einigen der Gesprächsteilnehmer fällt es gerade in der Familie und im Verwandtenkreis nicht immer leicht, die Sorgen auf den Tisch zu legen. Am offensten wird mit der Ehefrau bzw. der Partnerin geredet. Leo Schuster erläutert die Schwierigkeiten: „Es leidet alles mit daheim. Es ist nicht angenehm. Wir haben Kinder und Frauen. Bei den näheren Angehörigen, da sage ich gar nichts. Weil die belastet das auch. Wir sind eine große Familie, wir sind zehn Kinder, sind alle verheiratet, wir haben ein gutes Verhältnis. Wir haben da vor ein paar Monaten mal darüber diskutiert, da siehst du bei den Leuten, bei den Gesichtszügen, was vor sich geht. Ich sage auch meinen Eltern und meinen Schwiegereltern nichts. Sie vermuten es nur, weil sie sehen es mir ja an. Das ist klar. Es ist ein jeder gedämpft.” Kaum hat Leo Schuster geendet, werden ähnliche Familiengeschichten erzählt. Es scheint, als ob nun über ein Thema geredet werden kann, das nicht so oft zur Sprache kommt. Ingo Köller berichtet von seiner jüngsten Tochter, die ihn bereits nach dem Verbleib des Lastautos gefragt hat: „Und heute hat sie gesagt, wieso gehst du denn so schön angezogen.” Daraufhin fährt wieder Leo Schuster fort zu erzählen: „Der Bub von mir ist 18 Jahre und ich habe ihn immer mitgenommen in die Arbeit. Habe ihn dort aussteigen lassen. Und jetzt stehe ich da in der Joggerhose und er fragt, wieso gehst denn du heute nicht arbeiten. Da habe ich halt auch gesagt, ich muss erst um elf gehen. Die eigenen Leute musst du belügen, weil das ist (Pause) nicht einfach. Für das sind wir einfach, wie es ausschaut, viel zu lange bei dem Betrieb gewesen. Wir versuchen, wenn sich was ergibt, dass wir gleich weiter tun, das tun wir sowieso. Das versuchen wir sowieso, das Beste daraus zu machen. Aber jetzt müssen wir halt abwarten.”

„Man braucht sich halt zur Zeit keine großen Hoffnungen machen”

Dem Seminar „Berufliche Zielfindung”, zu dem sie verpflichtet worden sind, sehen alle mit gemischten Gefühlen entgegen. Es kommen Inhalte auf sie zu, die einerseits in der jetzigen Situation wie Hohn klingen (Umgang mit Veränderungsprozessen und Stress, Motivationsarbeit, Entscheidungsengagement), und andererseits in ihrer bisherigen jahrzehntelangen Tätigkeit keine Rolle gespielt haben (Präsentations- und Verhandlungstechniken, Telefonmarketing und Kennenlernen von Testverfahren). Schwerpunkte wie Arbeitsmarktanalyse, Erstellen von Bewerbungsunterlagen oder die Erarbeitung eigener Fähigkeiten, Interessen und Neigungen führen ihnen aber deutlich vor Augen, dass eine völlige Umorientierung bevorsteht, von der sie sich noch kein genaues Bild machen können. Nur allmählich erkennen sie, was mit dem Neudeutsch und den vielen englischen Fachausdrücken gemeint ist, die ihnen das Unternehmen in einem sehr unpersönlichen Schreiben nähergebracht hat, in dem sie die Auflösung ihres bisherigen Arbeitsplatzes und die verpflichtende Seminarteilnahme zur beruflichen Neuorientierung bestätigt bekommen haben. Darin heißt es: „Im Rahmen dieses Seminars sollen sie über die Möglichkeiten innerhalb des Unternehmens (interner Arbeitsmarkt, Neuqualifizierung, Umschulung etc.) bzw. am externen Arbeitsmarkt (Outplacement, Outsourcing, Personalleasing, Abfertigungsmodell etc.) informiert werden.”

Alle sind sich klar, dass sie eine „Durststrecke” zu bewältigen haben. Sie ahnen „nicht das Beste”. Das Gespräch verstummt für kurze Zeit, die Stimmung ist gedrückt. Vom Seminar erhoffen sie sich in erster Linie Auskunft darüber zu erhalten, was man mit ihnen vorhat: „Da werden wir mehr erfragen, da müssen sie mit der Sprache rausrücken. Man erfragt ja nichts.” Ingo Köllerer möchte, dass endlich offengelegt wird, ob sie als Arbeiter überhaupt noch gebraucht werden. Es ist die Meinung vorherrschend, dass in Wirklichkeit bereits eine Entscheidung gefallen ist und dass auf sie Druck ausgeübt werden wird, die Pragmatisierung aufzugeben. Leo Schuster spekuliert damit, ein Abfertigungsangebot anzunehmen, wenn er einen guten Job bekommen würde, auch wenn netto von der Abfertigung gar nicht so viel über bliebe. Schließlich haben die meisten von ihnen noch viele Jahre bis zur Pensionierung und wollen etwas Vernünftiges und Sinnvolles tun. Doch dann kommt sehr rasch die Sprache auf die Schwierigkeit der Vermittelbarkeit, wenn man über 40 oder gar über 50 Jahre alt ist. Dies hat Leo Schuster in letzter Zeit beim aufmerksamen Durchlesen von Stellenangeboten in der Zeitung deutlich registriert. „Und die Bonzen hocken unten, mit solchen Bäuchen, vollgefressen”, wirft Benno Gamper in die Runde, in der sich rasch eine ziellose Wut gegen den Vorstand in Wien, die angenommene Abwanderung von Arbeitsplätzen von West nach Ost und die Gewerkschaftsspitze in Wien manifestiert, die gegen die Tiroler Interessensvertretung der Poollösung, also der Gründung der Telekom-Tochter TAP zugestimmt hat. Der Tiroler Gewerkschaft sprechen sie zwar das Vertrauen aus, weshalb sie auch mutig trotz Drohungen von Vorgesetzten bei einer Betriebsversammlung teilgenommen haben, doch wird an einschlägigen Erfolgen gezweifelt. Das rechtliche Vorgehen ist ihnen nicht ganz geheuer, zum Teil wird befürchtet, dass dadurch alles noch schlimmer wird. Leo Schuster fasst die Grundhaltung der Gruppe mit wenigen Worten zusammen: „Man braucht sich halt zur Zeit keine großen Hoffnungen machen. Das steht einmal fest.”

Exkurs

Für die Tiroler Arbeiterkammer ist die TAP lediglich zum Personalabbau gegründet worden, was keinen Betriebszweck darstellt. Da die Unternehmensleitung auf Ersuchen der Arbeiterkammer um Stellungnahme bezüglich der unklaren Anstellungsverhältnisse bei der Telekom Austria und der TAP nicht reagierte, wollte der Tiroler Postgewerkschaftschef und Vizepräsident der Arbeiterkammer Erwin Zangerl die notwendigen gerichtlichen Schritte zur Klärung der strittigen Rechtsfrage einleiten. Zu seinem Ärger war dies einige Zeit nicht möglich, da sich der oberste Tiroler Personalvertreter der Telekom querlegte und somit die Beschreitung des Rechtsweges hinauszögerte. Zangerl gelang es jedoch, die Feststellungsklage mit Hilfe einer betroffenen Vertragsbediensteten einzubringen, die sich standhaft weigerte, so wie rund 200 andere Tiroler Telekom-MitarbeiterInnen von der Telekom in die TAP überstellt zu werden. Die Telekom reagierte daraufhin prompt. Frau Elfriede Müller wurde gekündigt (Mai 2001). Das Unternehmen begründete seine Vorgehensweise mit der notwendigen Steigerung der Produktivität: „Um dieses überlebenswichtige Ziel zu erreichen, ist bedauerlicherweise auch die Auflösung ihres Arbeitsplatzes erforderlich”. Die Arbeiterkammer antwortete daraufhin mit einer Kündigungsanfechtung. Allerdings besteht der Nachteil nun darin, dass bis zum Entscheid der Anfechtung das Musterverfahren gegen die Überstellungspraktiken der Telekom ruht. [1]

[1] Kurier, 17.5.2001; TT, 12./13.5.2001.