Aus: Eliskases/Moser/Schönauer: Bildungspuzzle. Reflexionen zur Weiterbildung, 1999
Horst Schreiber
„Dieser schreckliche Ratschlag: lebenslanges Lernen. Der Gedanke ist ja furchtbar. Ja, ich meine, man will ja auch einmal leben und nicht immer nur lernen.”
Jean Ziegler
Mein Verhältnis zur neuen Maxime des „lebenslangen Lernens” ist von meiner eigenen Berufsbiographie stark geprägt. Ein persönlich gefärbter Einstieg in die Thematik erscheint mir insofern gerechtfertigt, als dadurch meist vernachlässigte Aspekte aus der Sichtweise der Betroffenen stärker beleuchtet werden können.
Nach der lustvoll erlebten Absolvierung meines Probejahres in der Schule wurde mir zwar von allen Seiten eine erstklassige Begabung zum Lehrberuf bescheinigt, doch zunächst hieß es ab in die Arbeitslosigkeit. Die Einsparungspolitik hatte längst den bildungspolitischen Elan der 70er-Jahre verdrängt, die neue Terminologie sprach von einem LehrerInnenüberschuß. Mir und meinen LeidensgenossInnen wurde empfohlen, Zusatzqualifikationen zu erwerben, um in andere Arbeitsfelder eintreten zu können. Gerade diejenigen, die wohl abgesichert in ihren Sesseln lümmelten, legten uns Jungen vollmundig Dynamik und Mobilität nahe, unser Versorgungsdenken sollten wir ablegen.
Meine KollegInnen zeigten sich dann auch flexibel. Die einen suchten Schutz unter den Fittichen einflußreicher Personen, Vereine und Verbindungen, die anderen fuhren Taxi, gingen ins Ausland, wurden Sekretärinnen, setzten sich in der freien Wirtschaft durch, obwohl diese gerade im kleinbetrieblich strukturierten Tirol keinen sonderlich großen Bedarf für unsere Kompetenzen zeigte, gingen an die Universität, vor allem auf Projektbasis, oder wurden freie MitarbeiterInnen.
Ich selbst versuchte meinen romantischen Traum auszuleben, das zu machen und zu werden, wovon ich beseelt war. Ich war nämlich, der öffentlichen Meinung zum Trotz, der festen Überzeugung, daß LehrerInnen im allgemeinen und ich im besonderen in der Schule gebraucht werden. Ich schätze noch heute diesen Idealismus der Spätpubertät, besonders seitdem ich mit so vielen pragmatisch-orientierten Mumien, die unter die Räder der Alltags- und Berufszwänge geraten sind, in Berührung gekommen bin.
Der erste Schritt meiner Weiterbildung bestand darin, Unmengen an Zeit zu verplempern, indem ich mich konsequent jeder Heranführung an den Markt verweigerte, wenn dies eine prinzipielle Abkehr von dem bedeutete, was ich mir vom Leben erwartete. Denn den Luxus, dieses kurze Leben sinnerfüllt zu verkosten und zu gestalten, den wollte ich mir nicht nehmen lassen. Ich war nicht gewillt, wertvolle Lebenszeit mit Ausbildungen zu vergeuden, die mich im Grunde meines Herzens gar nicht interessierten. Die Aussicht auf eine zehnprozentige Steigerung der Handyproduktion, die mir dann zu verdanken wäre, ließ mich kalt. Dafür war ich aber auch bereit, auf ein Raten abgezahltes Mittelklasseauto zu verzichten und viel Spaghetti zu essen. Eingebettet in einem solidarischen Freundeskreis hatte ich nun die Gelegenheit, meine theoretische Lebensphilosophie unter dem normativen Druck der rauhen Wirklichkeit zu überprüfen. Ein hartes Ringen im Bestreben, zu mir selbst zu kommen, das Leben nach meinen Vorstellungen und Sehnsüchten zu gestalten, begann. Ohne Effizienzkontrolle, out-put-Evaluation und Zertifikatsüberreichung. Aus heutiger Sicht weiß ich, daß ich ungeachtet aller Marktverweigerung dennoch, um in der postmodernen Sichtweise zu bleiben, den Wert meines Humankapitals gesteigert habe und die Rendite sich nun sehen lassen kann.
Den nächsten Schritt setzte ich, indem ich mich aus der Vereinzelung meines Arbeitslosenstatus zu lösen begann und mich mit anderen zusammenschloß. Schon damals glaubte jede/r, erfolgreicher zu sein, wenn er/sie alleine kämpft. Diese Lehrzeit in der Arbeitsloseninitiative, die meine Schulkarriere über mehrere Jahre eher gehemmt hat, um sie schließlich nach langen Umleitungen doch wieder zu fördern, diese Lehrzeit hat mich persönlich in einem unschätzbaren Ausmaß bereichert. Heute wird dies wohl als Umwegrentabilität bezeichnet. Rückblickend bin ich froh, nicht sofort in die Schule eingestiegen zu sein. So wie die meisten war ich ja völlig naiv. Ich hatte keine Ahnung, nach welchen Spielregeln in den Konferenzzimmern agiert wird, wie durch und durch verparteipolitisiert die Schule ist und wie gleichzeitig heuchlerisch-neutral nach außen. Ich hatte keine Ahnung, welche Rolle die Interessensvertretungen, die LehrerInnenvereine und die Schulbehörde spielen, wie sehr der Unterricht von all diesen Komponenten beeinflußt wird und welchen direkten, indirekten und verinnerlichten Zwängen die LehrerInnen unterworfen sind. Durch mein Engagement erhielt ich diesbezüglich einen ungeheuren Kompetenzzuwachs, Erfahrung im Umgang mit Entscheidungsträgern (Trägerinnen gab´s keine), Informationsvorsprünge, Redegewandtheit, Organisationsgeschick, Durchblick in der Schulpolitik usw. Der kleine Maxi, der glaubte, daß es genüge, den „Stoff” zu beherrschen und ihn mit guten Methoden kreuzbrav an die SchülerInnen weiterzutransportieren, begann die Metaebene der Schule zu erblicken und die Funktion der Institution besser zu begreifen und vor allem die Rolle, die für ihn als Lehrer darin vorgesehen war.
Ein schmerzhafter Lernprozeß in dieser Zeit war die Erfahrung der Ungerechtigkeit und immer wieder der Ohnmacht, das Gefühl, bei der Arbeitsplatzvergabe übergangen worden zu sein. Auf alle Fälle aber vom so genannten „Lehrermarkt” hinauskatapultiert zu werden in die Freiheit, also frei von einem LehrerInnenjob zu sein, die freie Wahl zu haben, lebenslang weiter lernen zu dürfen, sich noch besser zu qualifizieren. Denn nur wer immer strebend sich bemüht, wird auch einmal erlöst werden – sofern es nicht noch jemand (angeblich) besser Qualifizierten gibt.
Jedenfalls fühlte ich mich ausgestoßen, deklassiert, übrig, nicht dazu gehörig. Besonders weh tat auch diese scheinbar problemlose Ersetzbarkeit im Rahmen des Schulsystems, das einem stets vor Augen führt, daß sich ein besonderer Einsatz für die SchülerInnen, vor allem aber ein kritisches Engagement nicht bezahlt macht. Andererseits dauerten diese Anfälle von Depression nicht lange, da ich ja in einer Gruppe eingebunden war und wir gemeinsam etwas gegen die Arbeitsmarktsituation zu unternehmen versuchten. Dadurch gelang es mir auch, nicht von den üblichen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit befallen zu werden – Selbstzweifel, fortschreitende Apathie etc. – , sondern frisch und fröhlich die Kronen-Zeitung-Sozialschmarotzer-Diskussionen zu genießen. Mein psychisches Wohlbefinden sicherte ich mir dabei durch die für mich überlebensnotwendige Nutzung der Universität als soziales Nest, wo ich mich ohne Blick auf den Markt ganz nach meinen Bedürfnissen weiterbilden konnte.
Als ich in der Schule beschäftigt wurde, war dies jahrelang nur in Teilzeitarbeit wider Willen möglich. Immerhin konnte ich weiterhin Zeit in meine wissenschaftliche Ausbildung investieren. Zwar reichte es zu keinem Dienstposten auf der Uni, dafür war ich aber durch die jahrelange unfreiwillige Bildungsfreistellung in der Lage, wissenschaftlich tätig zu werden, zu publizieren, Vorträge und schließlich, wenn auch sehr begrenzt, Vorlesungen zu halten sowie in die LehrerInnenausbildung einzusteigen. Durch diese Entwicklung hatte ich mir mehrere berufliche Säulen der Identität erobert, in materieller Hinsicht zwar wackelige, aber immerhin. Für mich war es wichtig, nicht völlig darauf angewiesen zu sein, gnadenhalber irgendwo irgendeine Lehrerstelle zugewiesen zu bekommen. Überhaupt erlangte ich durch den erschwerten Einstieg in den von mir angestrebten Beruf die Möglichkeit, die Schule nicht als meine kleine Welt ansehen zu müssen. Ich muß nicht alles ernst nehmen, was dort abläuft, Bestätigung erhalte ich auch anderenorts.
In beruflicher Hinsicht empfinde ich es als sehr befreiend, nicht auf ein einziges Pferd setzen zu müssen, sondern fremd gehen zu können. Das gibt mir ein Gefühl von Unabhängigkeit, Freiheit und öffnet den Blick auf andere Horizonte. Diese Grundstimmung an Zufriedenheit kann ich dann wieder in die Schule hineintragen. So schaue ich also auf mich und mein Wohlergehen, um die kognitiven, personalen und sozialen Fähigkeiten der SchülerInnen und deren Wohlergehen besser fördern zu können. In diesem Sinne versuche ich mich kontinuierlich weiterzubilden, sei es durch Supervision oder etwa durch eine gestaltpädagogische Ausbildung. Dabei bemühe ich mich, in keinen Fortbildungsstreß zu geraten. Denn eigentlich sollte ich mich noch intensiver damit beschäftigen, wie man Konflikte löst, eine Ausbildung in TZI wäre wirklich gut und, ach ja, ebenso der Umgang mit CD-Rom im Unterricht und diesem ganzen interaktiven Zeug, Internet nicht zu vergessen, und überhaupt, Kompetenzerwerb für Telelearning wäre auch sehr notwendig, aber halt! Ich will nicht von einer Fortbildung zur anderen hetzen und mich vor lauter Aneignung von Zusatzqualifikationen wieder verlieren, sondern erst einmal verdauen, das neu Erlernte sich setzen lassen, ausprobieren, Handlungserfahrung erzielen und nicht zuletzt – mich auch erholen. Ich darf nicht vergessen, daß meine Erholungsphasen auch den SchülerInnen zugute kommen.
Im derzeitigen bildungspolitischen Diskurs wird ständig unterstrichen, daß Bildungserwerb nicht mehr in einer bestimmten Lebensphase erledigt wird, sondern einen lebenslangen Prozeß darstellt. In gewisser Hinsicht ist dies nichts Neues, doch die wissenschaftlich-technische Revolution läßt das Wissen in immer kürzeren Perioden auf den Müllhaufen der Geschichte werfen und fordert im Zeitalter der Globalisierung und der Neukonstituierung wirtschaftlicher Großräume, die einander die Vorherrschaft streitig machen, eine totale Anpassung des Individuums an ökonomische Sachzwänge. Schlagworte wie „den Wirtschaftsstandort Österreich absichern” zielen ab auf mehr Leistung für weniger Lohn und den Abbau sozialer Errungenschaften, denn der Mensch hat sich der freien Marktwirtschaft unterzuordnen. Bildung bedeutet in dieser Sichtweise einen permanenten Prozeß, der den gesamten Lebenszyklus unbarmherzig und unvermeidlich begleitet, da Fertigkeiten und Fähigkeiten rasch altern und der Arbeitsmarkt durch zunehmende Flexibilisierung eine höhere Anpassungsgeschwindigkeit der Qualifikationsstruktur erforderlich macht. Daher heißt es, in das eigene Humankapital zu investieren und auf eigene Initiative, gemeint ist speziell auf eigene Kosten, Kurse zu absolvieren. Eine der entscheidenden Fragen ist eben, wer diese Kosten der Aus- und Weiterbildung tragen wird. Hier gilt es zu gewährleisten, daß die Teilnahme am Arbeitsprozeß trotz steigender Einstiegs- und Umstiegskosten allgemein gewährleistet bleibt.
Bildung verkommt generell zu einer Ware, die verkauft werden muß, was unter anderem eine intensive Öffentlichkeitsarbeit der Schulen und angebotenen Lehrgänge, die zueinander in Konkurrenz treten, nötig macht. Der Druck auf eine Privatisierung von Bildung nimmt dadurch stark zu, die Einführung von Schulgeld in den Abendgymnasien und sonstigen Institutionen des 2. Bildungsweges wäre ein logischer Schritt und wird auch bereits diskutiert. Dazu zeichnet sich ein Trend zu Eliten ausbildenden Privatschulen ab, die im Gegensatz zu einem finanziell ausgehungerten staatlichen Schulsystem über ausgezeichnete Rahmenbedingungen des Lernens und Lehrens verfügen. Doch noch ist es nicht soweit und die Erfolgsaussichten, einem derartigen Szenario entgegenzusteuern, sind bei entsprechendem Engagement und angesichts der Tradition des österreichischen Bildungssystems keineswegs aussichtslos. Ohne grundlegende Reformen, die die Verkrustungen und Erstarrungen in den staatlich geführten Schulen aufbrechen, die die engagierten Lehrkräfte und pädagogische Innovationen fördern sowie die SchülerInnen und Eltern im Sinne einer echten Schulpartnerschaft weit stärker als bisher miteinbeziehen, wird dies aber nicht gehen. Wer nach Ruhe in den Schulen ruft, verschläft nicht nur die neuen Herausforderungen, sondern unterstützt den Trend der Privatisierung und völligen Ökonomisierung des Bildungssystems. Dynamik, Veränderung und Qualitätsverbesserung werden sich aber nur erzielen lassen, wenn auch der Staat bereit ist, das Bildungs- und Forschungsbudget wesentlich zu erhöhen.
Alle Studien und Untersuchungen zeigen einen Zusammenhang zwischen Höherqualifizierung und der damit verbundenen Verringerung der Gefahr, arbeitslos zu werden oder es längere Zeit zu bleiben. Trotz der derzeit herrschenden Deregulierungsphilosophie darf sich der Staat nicht aus seiner Verantwortung stehlen, aber ebensowenig auch die Unternehmen. Es müssen frauen- und arbeitnehmerInnenfreundliche Modelle der beruflichen bzw. betrieblichen Fortbildung entwickelt werden, die sich auch an den Bedürfnissen des Menschen und nicht nur an jenen der Wirtschaft orientieren. Dabei kann es nicht so sein, daß die lebenslang Lernenden in einem immer stärkeren Maß auch die Kosten tragen mit dem Argument der Eigenverantwortung und der Betonung, daß sie ja auch einen persönlichen Nutzen aus der Weiterbildung ziehen. Es wird geflissentlich verschwiegen, daß die berufliche Weiterbildung weniger als Investition in die Zukunft der einzelnen ArbeitnehmerInnen denn als Investition in den Betrieb erfolgt und persönlichkeitsfördernde Ausbildungselemente ebenfalls funktionalen Charakter haben und dem direkten Verwertungsinteresse der Firmen entsprechen. Während einerseits der Niedergang der Familie, gemeint ist der Typus der Kleinfamilie, in der öffentlichen Diskussion auf das heftigste beklagt wird, wollen die ApologetInnen der unumschränkten Flexibilisierung einfach ausblenden, daß Männer und Frauen, die sich marktkonform verhalten sollen, d.h. so alle drei, vier Jahre den Arbeitsplatz und zumeist auch den Wohnort wechseln sowie permanent Zusatzqualifikationen erwerben, immer weniger Zeit füreinander und für ihre Kinder haben werden.
Der ständige Konkurrenzdruck und die Forderung, mehrmals im Berufsleben von vorne anzufangen und dabei auch zu Einkommenseinbußen bereit zu sein, der Kampf jeder gegen jeden, die zyklenhaft wiederkehrende Angst vor Arbeitslosigkeit, die zynische Annäherung männlicher und weiblicher Lebensbiographien in dem Sinne, daß auch männliche Berufskarrieren selbst in gehobenen Positionen künftig immer wieder unterbrochen werden, würden sich für zwischenmenschliche Beziehungen nicht gerade förderlich auswirken und unweigerlich zu einer noch stärkeren sozialen Fragmentierung der Gesellschaft führen. Die schöne neue Welt als Brutstätte der Ängste! Da nützt dann kein scheinheiliges Lamento über Werteverlust, Entsolidarisierung, menschliche Kälte, zunehmenden Egoismus, Hedonismus, Sektensehnsucht und christlichen Fundamentalismus, Fremdenhass, Rassismus, Rechtsextremismus und Konsumrausch. Der technisch-wissenschaftliche Fortschritt mit seinen Auswirkungen auf den Dienstleistungssektor und die Produktionsbedingungen verändert selbstverständlich das Zusammenleben und die Befindlichkeit der Menschen. Die Frage ist nur, welchem Menschenbild wir zum Durchbruch verhelfen wollen, ob wir das Recht der Menschen nach einem Leben in Würde, Selbstbestimmtheit und materieller Absicherung unterstützen wollen oder das Hohelied des Marktes singen und Marktmechanismen als Naturgesetze ansehen, an die wir Lehrkräfte unsere SchülerInnen anpassen wollen.
Ich sage ja zum lebensbegleitenden Lernen, denn in meinem Beruf als Lehrer und Historiker bin ich im Vorteil, mich neuen Herausforderungen, mit denen ich mich konfrontieren will und muß, in einer gewissen Sicherheit stellen zu können. Ich arbeite nun endlich an einem Arbeitsplatz, von dem ich nicht mehr wie früher völlig rechtlos nach dem Prinzip eines manchesterliberalistischen Prinzips des „hire and fire” entfernt werden kann. Ich bin eingebunden in ein funktionierendes Beziehungsgeflecht, das mich stützt. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß es bereichernd ist, sich auf Ungewohntes und auf neue Situationen einzulassen. Ich bin allein im Schulbereich in relativ kurzer Zeit an acht verschiedenen Arbeitsplätzen tätig gewesen. Ich war neugierig auf neue SchülerInnen und KollegInnen, die Unterschiede des Arbeitens mit Stadt- und Landkindern, mit SchülerInnen der Ober- und unteren Mittelschicht. Der permanente Wechsel, bei dem ich keinerlei Mitsprache hatte und der auch auf meine persönliche Lebenssituation keine Rücksicht nahm, war aber zuviel des Guten. Kaum hatte ich mich eingearbeitet und mir am Arbeitsplatz auf der inhaltlichen und persönlichen Ebene etwas aufgebaut, mußte ich schon wieder gehen. Am eigenen Leib habe ich erfahren, wie wichtig es ist, bei aller Offenheit zu Veränderungen und für einen Neubeginn, Kontinuitäten entwickeln zu können, nicht immer und immer wieder auf Arbeitssuche sein zu müssen und Familien-, Privat- und Berufsleben im großen und ganzen miteinander vereinbaren zu können.
Ein Jugendlicher kann keine Zeitung mehr aufschlagen, Radio hören oder fernsehen, ohne dabei nicht mit der größten Nachdringlichkeit darauf hingewiesen zu werden, daß er sich nach Beendigung seines Schulabschlusses, seiner Lehre, seines Studiums flexibel auf neue Aufgaben und Herausforderungen einstellen, ja, daß er sich neu konditionieren muß. Nur wer lernt, Entscheidungsschwächen abzubauen, sei für künftige Veränderungen und Innovationen ausreichend gewappnet. Vulgärdarwinistische Auslesethesen bemessen die Verteilungsgerechtigkeit nicht nach sozialen, sondern ausschließlich nach Qualifikationskriterien, wobei einer der führenden „Human Ressource Manager” bei Philips überspitzt formuliert, daß am besten bereits im Kindergarten mit dem Sammeln von Zusatzqualifikationen begonnen werden sollte, wenn man eine Nasenlänge weiter vorn sein möchte. Nur der Starke, Tüchtige, Fähige, überdurchschnittlich Leistungsbereite werde sich behaupten können. Die Perversion wird zum ultimativen Postulat erhoben, die Schändung und die Verkehrung der christlichen Frohbotschaft in ihr Gegenteil marktschreierisch angepriesen. Die Philosophie des lebenslangen Lernens für den Markt, den Erfolg und den Profit schafft Bestseller wie „Jesus Christus, Manager”. In den dort aufgestellten 10 Geboten heißt es : 1. Du sollst an den Erfolg glauben, 9. u. 10. Gebot: Deinen Erfolg mußt Du Dir selbst schaffen.
Schlagwörter werden besetzt und allzuoft sinnentstellt zur Identifikation angeboten. In den Schulen ist immer öfter von der Schaffung einer „corporate identity” zu hören. Zu einem Lernen und Lehren, das nicht mehr entfremdet, sage ich natürlich ja, ebenso zur Übertragung von mehr Mitverantwortung und Verantwortlichkeit aller SchulpartnerInnen. Ich sage ja zu einer Ökonomisierung der Schule in dem Sinn, daß sich Unterrichtsministerium, Schulbehörde, DirektorInnen und LehrerInnen für die Qualität ihres (Aus)Bildungsangebotes und die damit verbundenen Arbeitsplatzmöglichkeiten ihrer AbsolventInnen interessieren und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitverantwortlich fühlen. Ein klares Nein aber zu einem falschen Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich nicht wirklich auf deutlich mehr Demokratie und Mitsprache in der Schule und im Betrieb stützen kann, das auf Selbstausbeutung und nur auf ideelle statt auch auf materielle Entlohnung abzielt, das vom Arbeitgeber wegen Budgeteinsparungen oder anderweitig höherer Gewinnmaximierung, wenn auch mit blutendem Herz (leider, leider), problemlos aufgekündigt werden kann. Plötzlich rudern dann die MitarbeiterInnen, neurdings heißen sie MitunternehmerInnen, nicht mehr mit, „corporate identity” hin oder her, auf einmal sind wir doch nicht eine Familie, ein Team. Schwups ist die Philosophie des „Wir alle sind der Betrieb, wir alle sind die Schule” entsorgt, das Boot ist voll und raus bist du. Was bleibt, ist ein guter Rat: Qualifizier‘ dich weiter, lern‘ ein Leben lang und dir wird nicht mehr bang.
Immer mehr Menschen glauben an die ihnen suggerierten relativ unrealistischen Verwertungsperspektiven von Bildung, die bei entsprechend tüchtiger Aneignung Karriere garantiere. „Mobilität und Flexibilität, die Imperative der Erfolgreichen, werden so auch zur lebensgestaltenden Perspektive (und nur zur Perspektive) der Nicht-Erfolgreichen, und das sichert den Erfolgreichen weiter den Erfolg”, so Karlheinz A. Geißler.
Seit den 60er-Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß Bildung ein immens wichtiger Produktionsfaktor von großer gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Bedeutung ist. In der laufenden Bildungsdiskussion wird von der Notwendigkeit gesprochen, daß die Jugendlichen über ein breites Allgemeinwissen verfügen und sich erst später spezialisieren sollen. Dem steht allerdings entgegen, daß das österreichische Bildungssystem im europäischen Vergleich früh selektiert. Eine Lösung soll dahingehend gefunden werden, daß der Kanon des traditionellen Wissens allgemein definiert und verbindlich festgelegt wird, dadurch auch standardisiert abgeprüft werden kann. Es handelt sich hier um die Erstellung eines Kernstoffkatalogs und seiner Evaluation. Eines unter vielen Problemen besteht jedoch darin, daß sowohl unter PädagogInnen, WissenschafterInnen, Bildungs- und ArbeitsmarktexpertInnen sowie Wirtschaftsfachleuten höchst umstritten ist, was im bisherigen Sinn „gelernt” werden soll. Einhellige Meinung ist jedenfalls, daß die Vermittlung sogenannter Schlüsselqualifikationen in großem Ausmaß in den Unterricht einfließen muß. Derzeit sieht es aber so aus, als ob bei all diesen Überlegungen der ökonomische Verwertbarkeitsaspekt dominieren würde. So betont auch Vizekanzler Schüssel, daß der wirtschaftliche Wettbewerb des 21. Jahrhunderts in den Klassenzimmern entschieden wird, weshalb sich auch die Schulorganisation entsprechend dieser Entwicklung auszurichten habe. Diese Reduktion von Bildung und Schule auf die optimale Heranführung der Jugendlichen an das Anforderungsprofil der Wirtschaft degradiert den Menschen zum Objekt und spricht ihm trotz schöner Reden und humanistisch formulierter Lehrplanziele seinen Subjektcharakter ab. Besonders interessant ist, daß sich „fortschrittliche” AusbilderInnen und LehrerInnen mit ihren Methoden und neuen Lehrformen mit den Intentionen der Wirtschaft treffen und Gefahr laufen, in ihrem schülerInnenzentrierten, neusprachlich gesagt kundInnenorientierten Ansatz, noch stärker als bisher instrumentalisiert zu werden.
In diesem Zusammenhang ist auch die Aufmerksamkeit auf den Umstand zu lenken, daß die professionalisierte LehrerInnenfortbildung Lehrkräften noch effizientere Instrumentarien in die Hand geben kann, die Jugendlichen wesentlich besser zu manipulieren als dies im traditionellen Unterricht möglich ist. Ich verweise hier u.a. auf die Klagen von StudentInnen auf der Universität Innsbruck im Rahmen ihrer LehrerInnenausbildung, die bisweilen ihren persönlichen Schutzraum verletzt sehen in der ständigen Aufforderung, ihr Innenleben zu öffnen und in die Gruppe einzubringen. So können autoritäre Ausbildungsmuster in progressivem Gewand fröhliche Urstände feiern, während sich Lehrende mit ihren frisch erworbenen Kompetenzen in Gruppendynamik und Interaktion als ModeratorInnen und „Coach” nur scheinbar im Hintergrund halten und die Gruppe glauben lassen, daß sie selbstbestimmt für sich lerne. Widerstand gegen die Autorität wird dann mit immunisierenden Psychotricks begegnet (z.B. „Was machst du jetzt mit mir?”; „Du machst mich sehr traurig”), die die Auflehnenden auf sich selbst zurückwerfen. Wenn ich auf die real existierende Gefahr der äußerst affirmativen Anwendung moderner Unterrichtsformen hinweise, geht es mir darum, die möglichen Schattenseiten der Modernisierung des Bildungs- und Fortbildungssystems aufzuzeigen und einem erst noch zu führenden Diskurs Impulse zu geben. Überhaupt scheint es von äußerster Wichtigkeit, daß die Lehrenden stärker theoriegeleitet über ihre Arbeit reflektieren und sich selbst im Stress des Unterrichtsbetriebs die Frage stellen, was sie vermitteln, wem dies zugute kommt, wie im eigenen Unterricht der geheime Lehrplan benannt werden könnte, welche Rolle sie eigentlich einnehmen, welche Funktion ihnen im Bildungsbereich zugeteilt wird und ob sie diese auch erfüllen wollen.
Ich spreche mich überhaupt nicht gegen die neue Lehr- und Lernkultur aus, ganz im Gegenteil, nur sehe ich diese von vorneherein nicht weniger repressiv als die traditionelle. NLP kann Lernschwächen beseitigen helfen, die Kommunikation verbessern, zur Persönlichkeitsförderung beitragen, ebenso aber auch zu einer überaus wirksamen Formung und Konditionierung, die die Anpassungsleistungen optimiert und nicht den Eigeninteressen entspricht. Es ist von einiger Relevanz, Schlagworte wie „lebenslanges Lernen” und die dazugehörenden neuen Vermittlungsmethoden kritisch zu beleuchten und die sich dahinter verbergenden Interessen sichtbar zu machen. Und noch etwas gilt es dabei zu unterstreichen: Höherqualifizierung fördert die berufliche Integration, bei einem begrenzten Angebot an Arbeitsplätzen müssen Menschen aber stets massenweise auf der Strecke bleiben und wenn sie sich noch so abstrappeln mit lebenslanger Lernbereitschaft. Die Arbeitslosigkeit als Grundproblem der kapitalistischen Wirtschaftsform kann nicht einfach privatisiert und zu einem individuellen Problem umfunktioniert werden, ebensowenig ist sie allein durch eine Effizienzsteigerung des Bildungssystems und Hebung der Leistungsfähigkeit des Lehrpersonals zu lösen.
Selbstverständlich müssen unseren SchülerInnen Fertigkeiten vermittelt werden, mit denen sie sich beruflich behaupten können, selbstverständlich sind die Erfordernisse einer sozialen Marktwirtschaft in den Schulen zu berücksichtigen. Damit zu verbinden und in den Mittelpunkt zu rücken ist allerdings der Mensch und der Humanaspekt von Bildung. Der Bildungserwerb soll vor allem dazu beitragen, die in jedem Menschen angelegten Potentiale optimal entwickeln zu helfen und ihm bestmögliche Voraussetzungen für ein sinnerfülltes Leben zu gewährleisten. Die Betonung der persönlichen Dimension von Bildung meint die Förderung des Wachsens und Reifens. Dahinter steht ein Bild von beziehungsfähigen Menschen, die sich nicht nur ihren Unternehmen und Produktionssteigerungen verpflichtet fühlen. Lebensbegleitendes Lernen zielt auf eine umfassende Entfaltung der Persönlichkeit und eine Befähigung zur Mitgestaltung einer zu demokratisierenden Gesellschaft nach eigenen Vorstellungen ab.